Lichtmess:
In Portugal. Ich sitze auf dem Bett in einem von der Morgensonne durchfluteten Gästezimmer. Meine Gastgeber und ihre zwei kleinen Kinder gruschteln in der Küche herum.
In Deutschland regnet es und es ist viel zu warm. Ich erinnere mich Jahre mit klarer, kalter Wintersonne, an eisige Sonnenbrillen-Tage mit überfrosteten Feldern.
Heute ist Lichtmess. Dieses alte Fest des Aussprechens einer Vision für das neue Jahr. Um Lichtmess ist der Tag in Deutschland schon wieder eine Stunde länger. Es ist immer noch richtiger Winter und die Kraft des Lichtes ist zurückgekehrt. Normalerweise.
Heute ist der Tag um zu bekräftigen, wo ich dieses Jahr hingehen will, was ich dieses Jahr „säen“ will. Heute ging es auch meinen Ahninnen darum, ihre Ideen für Projekte ans Licht zu holen und zu segnen, um sie dann um die Zeit der Frühjahrstagundnachtgleiche schon als Samen in die Erde stecken zu können. Zuerst die Idee also.
Ich bin aufgeregt. Mit den Visionen und Plänen kommt nicht nur Freude und Zuversicht. Ich fühle die Angst. Z.B. in meiner Brust.
Meine Kritikerin meldet sich schon seit etlichen Tagen. „Du weißt doch gar nicht, wo du hinwillst, Kathrin!“ höhnt sie. „Du hast Dir den Boden unter den Füßen weggezogen und weißt jetzt nicht, wie Du eigentlich leben willst. So kannst Du nicht überleben. Dieser ganze Umstieg war doch eine völlige Schnapsidee. Und heute wird dir klar, dass du noch nicht einmal benennen kannst, wo du überhaupt hinwillst.“
Puh. Meine Kritikerin spricht genauso wie meine Eltern. Ich beschließe, ihre Stimme freundlich wegzuschieben. Mit 56 höre ich nicht mehr auf meine Eltern.
Ich wende mich lieber an Wutz. Wutz hat viel mehr drauf als mich zu kritisieren. Sie ist mein Gremlin. Und ihr Job ist, mich zu beschützen. Gerade deshalb muss ich bei ihr besonders wachsam sein.
„Das reicht nicht.“ sagt Wutz. „Weitere Schritte, das ist viel zu unbestimmt. Da hat deine Kritikerin schon recht. Wie wäre es, wenn du erst mal frühstücken gehst.
Ich gehe frühstücken.
Einen Tag später: Danach war ich am Meer gestern.
Im Sand habe ich meiner neuen Freundin Habet von meinen letzten Monaten auf der Arbeit erzählt. Ich habe ihr meine Opfergeschichte erzählt, wieder einmal ganz neu erzählt. Und plötzlich ganz stark gespürt, dass ich sie endlich abstreifen muss. Dass ich volle Verantwortung übernehmen will, meine Schritte auf die Brücke machen, ohne mich zu binden an alles das, was bisher schräg gelaufen ist.
Und dann habe ich mich in den Atlantik geworfen. Ich hatte mir das Wasser viel kälter vorgestellt. Mit jedem Schwimmzug und Eintauchen habe ich gespürt, wie eine neue Schicht dieser Geschichte von mir abgespült wurde. Da waren viele Wellen nötig, bis alle Schichten weg waren. Ich bin lange im Wasser geblieben.
Am Strand habe ich einen dicken Stein aufgesammelt. Als Erinnerung: Diese alte Geschichte ist jetzt abgewaschen. Ich kann sie endlich umschreiben in eine Geschichte, die mir mehr Kraft gibt.
Und meine Vision?
Morgen! Lichtmess ist nicht nur am 2. Februar!